Hölle

Hölle
   (nordgermanisch ”hel“ = das Totenreich u. seine Göttin; lat. ”infernum “ = Unterwelt; griech. ”gehenna“, vom hebr. Hinnomtal, nach Jer 7 u. 19 wegen Götzendienst von Gott verflucht u. nach frühjüdischen Schriften als Gerichtsort vorgesehen). Die Vorstellung eines jenseitigen Strafortes ist in vielen Religionen verbreitet, im AT höchstens Jes 14, 9–20 angedeutet. Die bei Platon († 347 v.Chr.) als Mythos erzählte Jenseitsgeographie spielt in frühjüdischen Schriften, nach-neutestamentlich bei manchen Theologen, weit verbreitet in Predigt u. volkstümlicher Literatur, eine große Rolle. Nach dem NT gab Jesus seiner Verkündigung in zweifacher Weise den Charakter einer Drohrede: Er sprach für den Fall einer Nichtannahme seiner Botschaft von der Herrschaft Gottes von einem Nichthineinkommen bzw. Draußenbleibenmüssen, u. er richtete zeitgenössische sprichwörtliche Redensarten (vom Wurm, der nicht stirbt; vom Feuer, das nicht erlischt; durch die Redaktoren mit den Bildern vom Heulen u. Zähneklappern verschärft) v. a. drohend gegen Erbarmungslose u. Uneinsichtige (vgl. auch Gericht). In der Offb wurde die Rede von der H. (Feuer- u. Schwefelsee) mit dem Bedürfnis der verfolgten Christen nach Rache verbunden. In der theol. Tradition stehen zwei Weisen der Auslegung kontrastierend gegeneinander: Die der Wissenden, für die exemplarisch Augustinus († 430) steht u. die bis zur Gegenwart in Kreisen des Fundamentalismus vorhanden sind, die die Texte über die H. wörtlich nehmen u. von einer Vielzahl ewig verdammterMenschen ausgehen, u. die der Hoffenden, die, mit Origenes († 253; Apokatastasis) beginnend u. mit vielen Heiligen u. angesehenen Theologinnen u. Theologen in ihren Reihen, auf eine Rettung aller Menschen hoffen. Die kargen biblischen Zeugnisse wurden vom Frühmittelalter an bis zur Gegenwart durch phantasievolle Erzählungen von Visionärinnen u. Visionären über angebliche Jenseitsreisen u. Hölleneinblicke angereichert. In der systematischen Theologie wurde das Höllenthema mit der Spekulation verbunden, die Barmherzigkeit Gottes auch gegenüber dem schwersten Sünder bestehe als Umkehr- u. Gnadenangebot lediglich bis zum Tod; nach diesem existiere nur noch mitleidlose Gerechtigkeit . Die beiden Aussagereihen bei Jesus wurden zur Ansage zweier Arten von Strafen systematisiert: Die Strafe der (auf eigener menschlicher Entscheidung beruhenden) ewigen Ferne von Gott (”poena damni“) u. die im Bereich der menschlichen Sinnlichkeit vollzogenen ewigen Strafen (”poenae sensus“). – Die kirchlichen Lehraussagen sprechen von einer Existenz der H., vom Eintreten der Strafe sogleich nach dem Tod u. nicht erst bei der Auferstehung der Toten u. von der ewigen Dauer. Die Erklärung des Konzils von Florenz 1442, daß niemand außerhalb der röm.-kath. Kirche des ewigen Lebens teilhaftig werde, weder ”Heiden“ noch Juden noch Ungläubige noch von der Einheit mit dem Papst Getrennte, daß vielmehr alle diese dem ewigen Feuer verfallen, wurde vom II. Vaticanum im Hinblick auf Nichtkatholiken, Juden, Muslime, Angehörige nichtchristlicher Religionen u. schuldlos Ungläubige zurückgenommen (LG 15 f .). – In der heutigen Theologie werden die sinnenhaften Höllenstrafen nicht mehr thematisiert. Die Gottesferne spielt in den Erklärungen der menschlichen Freiheit eine Rolle: Gott zwinge niemand dazu, ihn zu lieben u. ewig in seiner Gegenwart zu sein. Damit ist allerdings die Frage nicht beantwortet, inwieweit ein nicht kranker (u. damit schuldloser) Mensch den eindeutig als Liebe erkannten Gott überhaupt verneinen könne u. wann diese volle Gotteserkenntnis gegeben sei; außerdem bleibt die Möglichkeit eines heilenden Einwirkens Gottes auf die menschliche Freiheit, ohne sie zu zerstören, offen. Viele Generationen wurden durch Höllenpredigt u. -pädagogik eingeschüchtert oder der Kirche entfremdet. Schwerwiegend war dabei, daß das theoretisch mögliche Nein zu Gott nicht in seiner Radikalität verkündet, sondern in zahlreichen konstruierten ”Todsünden“ konkretisiert wurde. Die biblischen Texte dürfen nachweitgehend übereinstimmenderMeinung heutiger Theologie nicht als Informationen, als ”antizipierende Reportagen“ verstanden werden, vielmehr wollen sie auf den Ernst der jeweiligen menschlichen Situationen, ihrer Entscheidungen u. ihrer Geschichte aufmerksam machen. Sie warnen vor Leichtsinn u. Oberflächlichkeit u. stellen einen Ruf zur Besinnung dar. Die kirchlichen Lehrtexte können als Aussage über das ewige (”verfluchende“) Nein Gottes zur Sünde verstanden werden; ob u. in welchem Umfang Sünder davon betroffen werden, dazu äußert sich die Offenbarung Gottes nicht u. deshalb hat auch die kirchliche Lehrautorität keine Kompetenz, sich dazu zu äußern.

Neues Theologisches Wörterbuch. . 2012.

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